Kolloquium „Straßenzustandsbericht, Kennzahlen und Bilanzierung“

Frankfurt am Main, 3. Juni 2015

Der gezielte Ausbau sowie die Erhaltung und der Betrieb des Straßennetzes sind für die Qualität der Lebens- und Arbeitsbedingungen der deutschen Gesellschaft von ausschlaggebender Bedeutung. Mit neuen politischen Rahmenbedingungen haben sich in letzter Zeit auch die Anforderungen an das strategische Management der Straßeninfrastruktur verändert.

 

Damit die Ziele einer auf Kennzahlen basierten Planung auch in Zukunft erfolgreich umgesetzt werden können, sind die in der Erhaltungsplanung etablierten und seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzten Verfahren um geeignete Elemente zu erweitern. Dabei gilt es nicht nur technische, sondern auch ökonomische Kriterien zu berücksichtigen und Key Performance Indicators (KPIs) anzuwenden, die die Beschaffenheit, den Zustand und Betrieb der Straßeninfrastruktur sowie ihre regionale Verteilung und Entwicklung abbilden sollten. Darüber hinaus sind die Ressourcen der Straßenbauverwaltung organisatorisch und personell weiterzuentwickeln und neue effiziente Prozesse zu implementieren.

Diese und damit verwandte Fragestellungen wurden am 3. Juni 2015 in Frankfurt am Main im Rahmen des Kolloquiums „Straßenzustandsbericht, Kennzahlen und Bilanzierung“ von ausgewählten Experten aus dem Straßen- und Wirtschaftswesen vorgestellt und zur Diskussion gebracht. Die interdisziplinäre Veranstaltung, bei dem erstmalig die Fragen der Wirtschaftsprüfer zur Straßenbilanzierung mit den technischen Aspekten der Straßenbauingenieure zum Straßenzustandsbericht verknüpft werden sollten, fand bereits in der Planungsphase großen Zuspruch. Dies lag nicht zuletzt daran, dass sowohl die Vermögensbewertung im Rahmen der Doppik als auch Zustandsberichte in den Landesstraßenbauverwaltungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zudem wird die aktuell in den politischen Kommissionen und den Medien angeklungene Privatisierung eines großen Teils der Bundesfernstraßen sehr kontrovers diskutiert.

Zu den 30 Teilnehmern des Kolloquiums zählten namhafte Vertreter der Landesministerien und Landesstraßenbauverwaltungen, der Landesrechnungshöfe, der Bundesanstalt für Straßenwesen und der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) aus Österreich. Insgesamt waren elf Bundesländer vertreten.

Die aufeinander abgestimmten Vortragsthemen gaben zunächst einen Überblick über die aktuellen Anforderungen und Bedürfnisse der Straßenbauverwaltungen und Rechnungshöfe. Das Feedback der Teilnehmer zeigte, dass die von Alfred Höhn (PWC) in der Begrüßung skizzierte effiziente und anforderungsgerechte Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur zunächst ein gemeinsames Ziel ist, es jedoch einer Zusammenarbeit der Disziplinen, geeigneter Prozesse, Verfahren, Daten und Kennzahlen bedarf. Dr. Slawomir Heller nahm darauf im ersten Beitrag „Key Performance Indicators für das Management der Straßenerhaltung“ direkt Bezug und zeigte anhand aktueller Ergebnisse aus einem Projekt für den Freistaat Bayern, dass für die Steuerung im Erhaltungsmanagement aussagekräftige Kennzahlen (Key Performance Indikators, kurz KPIs) berechnet werden können, anhand derer Disparitäten bestimmt und Bedarfe bzw. Maßnahmen abgeleitet werden können. Es bedarf, so Dr. Heller, einer Revision der bisher verwendeten Indikatoren (Mittelwerte, Verteilungen), die sich für Zustandsberichte weniger eignen. KPIs hingegen werden im Ausland bereits seit vielen Jahren erfolgreich in der Abstimmung bzw. Kommunikation zwischen den Stakeholdern (Inhaber/Politik, Verwaltung, Firmen, Nutzer) und als Zustandsbricht erfolgreich eingesetzt. Gerade vor dem Hintergrund der sehr guten Datenlage bedarf es nun geeigneter Impulse zur Einführung der „neuen“ Disziplin im Straßenwesen.

Ein ähnliches Fazit zog Henning Balck (HELLER) in seinem Vortrag über „Methoden zur Bedarfsermittlung und Mittelverteilung auf Grundlage aktueller Daten“. Nachdem er zunächst einen Überblick über die Anforderungen und Ziele der unterschiedlichen Interessensgruppen und die möglichen Datenquellen für deren Bewertung gab, beleuchtete er die aktuell gebräuchlichen Zustandsberichte. Balck zeigte anhand ausgewählter Beispiele, dass nicht alleinig die Verteilung des Zustands für die Bedarfsermittlung maßgeblich ist, sondern es geeigneter Alternativen bedarf. Anhand des Verfahrens der „Verbesserten Erhaltungsplanung“ (VEP), das seit über 15 Jahren erfolgreich in den Ländern eingesetzt wird,  demonstrierte Balck, wie sich mittels geeigneter Kennzahlen wie der „Dringlichkeit“ oder der „Erhaltungsfreundlichkeit“ Netze für Techniker und Wirtschaftsprüfer nachvollziehbar bewerten, Mittel verteilen und Zielerfüllungen messbar machen lassen. Das Feedback der Teilnehmer und Länder, in denen sich das Verfahren bereits erfolgreich in Anwendung befindet, zeigte dass die Einführung bundesweiter Standards ein nächster Schritt sein könnte.

Falko Düsterhöft (HELLER) und Dr. Christian Marettek (PWC) gingen in ihrem Vortrag einen Schritt weiter und präsentierten „Praxisnahe Anwendungsbeispiele zur Bilanzierung der Landesstraßen“ anhand der Bewertung der Straßeninfrastruktur des Landesbetriebs für Straßenbau Saarland (LfS). In dem seit 2009 von PWC und HELLER realisierten Projekt wurden pragmatische Verfahren zur technischen und monetären Bewertung der Anlagenteile (Straßengrundstück, Erdbau, Ingenieurbauwerke, Straßenaufbau und Straßenausstattung) erarbeitet. Als Datenquellen dienen die vorhandenen Bestandsdatenbanken und die Informationen aus der messtechnischen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB). Die anschließende Diskussion mit den anwesenden Fachleuten verdeutlichte, dass es einen großen Bedarf für ein konsensfähiges Verfahren auf Bundesebene gibt. Aufgrund der Unterschiede in den technischen und finanztechnischen (Abschreibungs-)Modellen und den bekannten Schwierigkeiten bei der Zusammenführung von Finanz- und Bestandsdaten sind praxisnahe Lösungsansätze gefragt. Dies erfordert eine intensive Zusammenarbeit der Disziplinen. Interessant ist dabei, dass sowohl die Fachreferate der Straßenbau- und Finanzverwaltung als auch die Rechnungshöfe in einer gemeinsamen Lösung deutliche Verbesserungspotenziale für das Erhaltungsmanagement sehen. Die Veranstaltung könnte hierzu einen Impuls geben und die Zusammenarbeit der Disziplinen fördern.

Dies alles ist jedoch nur dann möglich, wenn die Personalressourcen und Strukturen der Verwaltungen auf die neuen Herausforderungen vorbereitet werden. Unter dem Titel „Straßenbauverwaltung 2.0 – Reorganisation der Kompetenzen und Aufgabenbereiche“ stellte Yves Michels dar, welche Einschnitte die in vielen Ländern aktive „Schuldenbremse“ und die damit einhergehende Kürzung der Personalressourcen bedeutet. Am Beispiel von Hessen Mobil und einiger weiterer anwesenden Verwaltungen machte Michels fest, dass vor jeder Umstrukturierung zunächst die sorgfältige Analyse der Ziele im Vordergrund stehen sollte. Davon abgeleitet ergeben sich die Anforderungen an die Organisation und die Prozesse. Die Erfahrung zeige, dass es keine Standardstruktur gibt, die auf die Bedürfnisse aller Bundesländer gleichermaßen erfolgreich angewandt werden kann. In der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmern wurde insbesondere auf die Personalsituation in den meisten Bundesländern eingegangen. Diese gibt Anlass zur Sorge. Es fehlt an qualifiziertem Nachwuchs und nicht selten an Ressourcen für die Vorbereitung und Begleitung von Ausschreibungen.

Auch die IT muss den Anforderungen der Straßenbauverwaltung standhalten. Marcus Bauer (Strategy&) berichtete dazu im Schlussvortrag über die „Anforderungen an ein leistungsfähiges Straßeninformationssystem“. Diese werden aktuell in einem Bund-Länder-Projekt gemeinsam zwischen den Bundesländern diskutiert. Ziel sei es, die z.T. technologisch überholten Konzepte abzulösen und an die neuen Anforderungen anzupassen.

Der ausgedehnte Fachaustausch in den Pausen und die abschließende Diskussion bestätigen den Bedarf an interdisziplinären Gesprächen und neuen Ansätzen im Straßenwesen. Es ist der richtige Zeitpunkt, die Anforderungen an unsere Straßeninfrastruktur und das Management der Erhaltung neu zu definieren und mit geeigneten Verfahren und Daten zu unterstützen. Die Straßenerhaltung hat einen nie zuvor erreichten Stellenwert in der öffentlichen Diskussion. Politik, Verwaltung, Industrie und Nutzer benötigen eine gemeinsame Basis in Form nachvollziehbarer und anerkannter Kennzahlen.

Das Kolloquium wurde auf gemeinsame Initiative der PricewaterhouseCoopers AG und der HELLER Ingenieurgesellschaft mbH hin organisiert. Beide Unternehmen haben bereits mehrfach erfolgreich in Projekten zur Wertermittlung des Infrastrukturvermögens zusammengearbeitet und pragmatische Lösungsansätze für die Zusammenführung der finanz- und straßenbautechnischen Themen entwickelt. Aufgrund der guten Resonanz wird bereits an einer Fortführung der Veranstaltung gearbeitet.